Während ich durch meinen Facebookfeed scrolle, werden mir Threads aus Gruppen angezeigt, in denen Mütter ihre Erziehung hinterfragen und Tipps von anderen bekommen. Mir gefällt diese Entwicklung, solange das Gegenüber wertschätzend antwortet und nicht über die Fragestellerin urteilt. Der Blick von außen ist es, der zum umdenken anregt.
Gestern stellte eine Mutter die Frage, wie sie damit umgehen kann, wenn ihr Kind sie kommandieren möchte.
Bei mir regte sich gleich der Gedanke, dass man hier auf die Bedürfnisse der Mutter achten muss.
Das ist nicht falsch.
Doch die Antworten gaben mir einen erweiterten Blickwinkel auf die Situation.
So wäre ich selbst nicht auf die Idee gekommen, woher das Verlangen nach Macht, welche das Kind verspürt, kommen könnte.
Den ganzen Tag kooperiert es im Kindergarten mit anderen Kindern und Erziehern. Dieses ständige aufeinander eingehen ist für das Kind anstrengend. Zuhause fühlt es sich wohl und hat das Bedürfnis, auch Macht auszuüben und selbst Entscheidungen zu treffen. Soweit der Gedanke, einer antwortenden Mutter, der mir hängen geblieben ist.
Doch es blieb in dem Fragethread nicht bei bloßen Mutmaßungen. Viele Mütter gaben wertvolle Tipps, wie das Kind unterstützt werden könnte, Erfolgserlebnisse zu haben. Wenn das Bedürfnis nach Macht gestillt werden würde zum Beispiel. Durch Übertragung von Verantwortung, wenn es mitentscheiden darf, was es zu Essen gibt, welche Hose es heute anzieht und ob sie Nachmittags auf den Spielplatz oder in den Garten gehen. Es könnte den Tisch decken, die Spülmaschine ausräumen oder für andere Dinge Verantwortung übernehmen.
Das Gespräch ging weiter, aber ich folgte nicht mehr, da ich selbst schon einiges an Input mit heraus genommen hatte.
Was mir vor allem hängen blieb, war die Aussage, das Problem bestehe nicht darin, dass das Kind Macht ausüben möchte. Es geht eigentlich viel mehr darum, dass es am Selbstbewusstsein der Mutter kratzt, wenn jemand über sie bestimmen möchte.
Aber halt. Wie oft bestimmten wir täglich über unsere Kinder? Wie viele male treffen wir Entscheidungen über den Kopf der Kinder hinweg? Diese Entscheidungen sind natürlich teilweise auch nötig. Mir wurde aber bewusst, wie haeufig diese Sprösslinge auf uns eingehen und unsere Entscheidungen einfach so akzeptieren. Nun kann ich mich viel besser hineinfühlen, wie kooperativ Kinder im Alltag sind. Ich moechte versuchen, meine Kinder mehr bei Entscheidungsfindungen mit einzubeziehen und intensiver auf ihre Wünsche eingehen.
Diese Diskussion hat mich ermutigt. Und ich bin froh, meine Erziehung hinterfragen zu dürfen. Denn die Werte dir wir leben, wurden in unserer eigenen Kindheit in uns hinein gelegt. Ueber Generationen hinweg schon wird vermittelt, dass die Eltern die Chefs sind und die Kinder parieren müssen (das Wort parieren ist fuer meine Herkunftsfamilie überzogen, dennoch ist diese Denkweise in vielen Köpfen verankert). Hier in unserer Familie wollen wir ein Team sein. Gott ist der Trainer, wir die Spieler. Und wir spielen in EINER Mannschaft und NICHT gegeneinander. Wir müssen keine Macht gegeneinander ausüben. Ich möchte diesen Kreislauf durchbrechen und meinen Kindern dadurch Wertschaetzung entgegen bringen. Gewiss habe ich nun viel zu lernen, aber jeder neue Tag, ist eine neue Chance mich zu üben. Alte Erziehungsmuster zu hinterfragen, eventuell abzulegen und neue Samen zu säen. Ich moechte dich ermutigen, dieses Thema in deiner Familie zu hinterfragen. Und damit spreche ich nicht nur die Mütter an. Haeufig beschäftigen wir Mamas uns mit diesen Themen. Gerade deswegen finde ich es wertvoll, unsere Männer mit in diese Gedanken hinein zu nehmen. Sie erziehen die Kinder zu einem sehr grossen Teil mit. Diese Verantwortung liegt bei beiden Elternteilen.
Nun, meine Eingangsfrage habe ich nicht beantwortet. Ob Kinder Eltern herumkommandieren dürfen. Jeder sollte seine eigenen Grenzen kennen und wahren. Vielmehr geht es mir darum, herauszufinden, warum Kinder kommandieren. Sich in sie hineinzuversetzen, woher dieses Bedürfnis kommt. Und mich zu hinterfragen, wann es mir möglich ist, auf die Wünsche des Kindes einzugehen. Mir zu ueberlegen, an welchen Stellen ich mein Kind weniger herumkommandieren kann. Und vielleicht beginnst ja auch du, darüber ins nachdenken zu kommen.
November 20, 2018 um 9:01 am Uhr
Liebe Katharina, danke für diesen denkwürdigen Post. Ich denke, wenn Kinder ihre Eltern herumkommandieren, hat das immer Ursachen, und so dürfen wir uns mutig selber hinterfragen. Ich finde das Konzept der Vertrauenspädagogik sehr hilfreich, wo es heisst: Kinder brauchen Führung, ja, sie sehnen sich danach, sich vertrauensvoll anlehnen zu dürfen. Im Idealfall sind es die Eltern, an die sie sich anlehnen können, es können aber auch ältere Geschwister, Lehrpersonen etc. sein (schliesst sich gegenseitig nicht aus). Wenn die Eltern jedoch „Unterordnungssignale“ senden, haben Kinder das Bedürfnis, auszugleichen, denn „jemand muss doch die Führung übernehmen“. Als Unterordnungssignale wird eine unausgewogene Bedürfnislage genannt (z.B. wir Eltern „brauchen“ die Liebe unserer Kinder, oder ihren Gehorsam) Als Störungen in der Beziehung, die die Vertrauenspädagogik eine „vertrauensvolle, von gegenseitigem (!) Respekt geprägte hierarchische Beziehung“ nennt, gelten u.a. unser eigener, oft unangemessener Umgang mit Frust, Belehren/Schimpfen statt Lehren/Reifen lassen, unser eigenes Menschenbild („Kinder müssen parieren“, etc.). Wenn also Kinder ihre Eltern herumkommandieren, kann man davon ausgehen, dass die natürliche Beziehung eine Störung aufweist, bei der es sich lohnt, ganz genau hinzuschauen. Herzliche Grüsse, Sonja
November 22, 2018 um 9:33 pm Uhr
Hallo Sonja, lieben Dank fuer deinen wertvollen Kommentar. Es gilt, diese Dinge immer aus mehreren Sichten zu betrachten, deswegen freue ich mich besonders darüber, dass du geschildert hast, wie die Vertrauenspädagogik dazu steht. Ich habe das Buch dazu sogar hier liegen, aber bisher leider nur rein gelesen, weil ich noch so viele andere Bücher auf dem Stapel liegen habe. Da spielt wohl etwas das Coverdesign mit und da merkt man mal wieder, wie stark wir Menschen uns unterbewusst beeinflussen lassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kinder dann die Fuehrung übernehmen möchten, ich vermute aber mal, dass man dies nicht unbedingt immer pauschalisieren kann, da man ja immer die ganze Situation betrachten muss. Ich fand es einfach so interessant, mal den Blickwinkel zu ändern. Bei meinen Kids habe ich das „Problem“ bisher nicht gehabt, aber dennoch fand ich es sehr interessant. Mit der hierarchischen Beziehung der Vertrauenspädagogik bin ich mir noch nicht so ganz sicher, da muss ich mich erstmal einlesen. Ich hinterfrage gerade einfach viel und freue mich schon sehr auf das Buch. Ich danke dir 🙂 Liebe Gruesse, Katharina
November 22, 2018 um 11:17 pm Uhr
Liebe Katharina, danke für deine Antwort. Das Coverdesign geht gar nicht! 🙂 Ich hoffe, du kannst trotzdem etwas für dich daraus nehmen. Und ich gebe dir vollkommen Recht, es gilt immer, die Gesamtsituation zu beurteilen. Ich für mich habe festgestellt, dass es immer ähnliche Gründe hat, wenn unsere Kinder die Führung übernehmen (wollen). Gute Gründe, und manchmal auch solche, die für mich nicht stimmen und bei denen ich mich positionieren muss. Auch sehr spannend finde ich die VP-Forumsdiskussionen – ich habe mir ALLES reingezogen, an vielen langen Abenden 🙂 Da wird’s dann konkreter als im Buch, wo vorallem Grund-Mechanismen erläutert werden. Herzliche Grüsse! Sonja